Typisch vietnamesisch

Vietnam Reisfelder © minh82bn-pixabay.com
Reisterrassen in Vietnam © minh82bn-pixabay.com

Was ist typisch vietnamesisch? *

Sind Sie den Warteschlangen bei der Visakontrolle im Flughafen von Saigon entkommen, werden Sie zunächst überwältigt sein vom Gewusel des Straßenverkehrs:
- Auf der richtungsgetrennten Einfallsstraße kommen Ihnen so viele Geisterfahrer entgegen, dass Sie sich fragen, ob nicht Sie der Geisterfahrer sind.
- Kreisel werden im Gegenuhrzeigersinn, manchmal aber auch im Uhrzeigersinn befahren, was immer direkter zum Ziel führt.
- Überqueren Sie eine Einbahnstraße, schauen Sie besser nach rechts und links, damit Sie nicht von einem Falschfahrer überfahren werden.
- Hupen ersetzt den Rückspiegel des Vordermannes beim Überholen. Es wird nicht gebremst, sondern gehupt. Die Vorfahrt wird mit Hupen erzwungen. Die Hupe ist nach dem Motor das Wichtigste am Fahrzeug.

Doch Vietnamesen zeigen einander nie den Vogel oder den Stinkefinger. Das ist verpönt. Sie sind nicht nur im Straßenverkehr auch großzügig und nicht belehrend.

Transportiert wird auf Motorrädern mehr als bei uns in Autos oder Lieferwagen. Vier Personen auf einem Roller, Papa, Mama und zwei Kinder, eine Traube von Waren, sodass man das Gefährt nicht mehr sieht und der Fahrer kaum die Fahrbahn erkennt, sind nicht unüblich. Auf dem Land werden immer noch lebendige Tiere auf Rollern ihrem Endziel, dem Metzger, entgegengebracht, Dutzende Hühner, wie Blumensträuße zusammengebunden, Schweine auf Gepäckträgern, ja sogar Rinder.

Der Vietnamese ist höflich und zurückhaltend, was ihn aber nicht davon abhält, Sie nach der Kontaktnahme als Erstes zu fragen: Wie alt sind Sie? Sind Sie verheiratet? Haben Sie Kinder, und wie viele? – Denn Letzteres ist das Wichtigste in seinem Leben. Auf Ihre Rückfrage sagt er nicht: „Nein, ich habe keine Kinder“, sondern, „noch nicht“. Selbst eine 90-jährige ledige Frau antwortet: „Noch nicht.“

Lastentransport © fransteddy-pixabay.com
Zehn Säcke Reis? - Geht doch! © fransteddy-pixabay.com

Die Frage nach dem Alter ist wichtig, um festzustellen, ob man älter oder jünger ist als sein Gegenüber, sodass man die korrekte Anrede – „älterer Bruder“ oder „jüngerer Bruder“, „Großmutter“ oder „Tochter“ – auswählt. Es ist nämlich unhöflich, „ich“ und „du“ zu verwenden. Man sagt z. B. auch unter Fremden bei entsprechendem Altersunterschied: „Großmutter ist mit Enkelin nicht einverstanden“ und nicht „ich bin mit dir nicht einverstanden“.

Vietnamesen sind lichtscheu und verstecken sich vor der Sonne, damit sie nicht braun, oder, wie sie sagen, schwarz werden. Während sich Kaukasier am Strand ausziehen und nur minimale Textilschnipsel zeigen, verhüllen sich vor allem die Frauen mit Integralhüten, Mundschutz, Sonnenbrille, Schal, Handschuhen bis zu den Achselhöhlen, Flipflopsocken bis zu den Knien und gehen im Vollwichs erst bei oder nach Sonnenuntergang baden. Denn Weiß-Sein ist schön. Gleiches gilt im Straßenverkehr. Nur setzen sie sich dort noch einen Motorradhelm und einen Wegwerfmundschutz auf, freilich ohne jenen festzuzurren. Mit dieser Aufmachung betreten Vietnamesen sogar ihre Hausbank, ohne von der Security aufgehalten zu werden.

In diesem Land ist der siebte Tag kein Ruhetag. Auch am Sonntag laufen die Betonmischer auf Hochtouren. Bestenfalls Dienstleistungsbetriebe bleiben geschlossen. Auf dem Lande sind Feiertage stets nur dann angesagt, wenn es stark regnet. Deshalb liebt die Landbevölkerung den Regen. Ansonsten wird gearbeitet, außer am vietnamesischen Neujahr, Tet genannt.

Der Nationalsport ist Karaoke-Singen. Der Vietnamese hört sich selbst aber nur bei Dezibelstärken von über 100. Dabei kommt es auf die Tonsicherheit nicht so genau an, was bei Ihnen permanent Hühnerhaut auslösen wird. Sie werden aufgefordert werden,

Ihren Jekami-Konzertbeitrag zu leisten. Dafür wird Ihnen sicher „Happy New Year“ von Abba oder „Yellow Submarine“ von den Beatles eingespielt und sonst singen Sie halt „Kreuzberger Nächte sind lang“ oder „In München steht ein Hofbräuhaus“ a cappella. Ein frenetischer Applaus wird Ihnen sicher sein. Essen ist in Vietnam äußerst wichtig. Die Bevölkerung hat immer Hunger. Damit der Magen besser gefüllt werden kann, trinkt man erst nach dem Essen. Der Vietnamese kann fast beleidigt reagieren, wenn man ihm vor dem Essen einen Drink anbietet. Unternimmt man mit ihm einen Ausflug, sollte man alle vier Stunden ein üppiges Mal einplanen, damit er nicht verhungert. Die Essens- und Trinkgewohnheiten sind etwas anders. So trinkt man am Tisch nicht allein, sondern prostet sich immer gegenseitig zu. Das Bier wird mit Eis getrunken, Trauben werden geschält und die Kerne ausgespuckt, Brot in süße Kondensmilch getaucht, Mangos grün mit Fischsoße gegessen und der süße Orangensaft gehörig gezuckert. Da das Fleisch in der Küche mit der Schere mundgerecht zerstückelt und der Fisch am Tisch mit den Chop-Sticks zerkleinert wird, gehören Messer meist nicht zum Besteck. Man isst den Reis aus der Schale und gibt Fleisch oder Fisch und Gemüse häppchenweise obendrauf. Meist reicht man das schönste Stück während des Essens in die Schale der Tischältesten oder eines geschätzten Nachbarn.

Schläfer © yyoz-pixabay.com
Im Reich der Träume... © yyoz-pixabay.com

Vietnamesen sind begnadete Bastler und Meister der Improvisation. Während Sie die Arbeit vorbereiten und zuerst die Werkzeuge und Utensilien im Baumarkt einkaufen, beginnt der Vietnamese gleich mit der Bastelei und sucht sich während der Arbeit zusammen, was er gerade braucht. Muss er beispielsweise eine neue Lampe an der Decke anbringen, so montiert er an die zu kurze Sprossenleiter noch einige Sprossen an, steigt hinauf, merkt, dass das Kabel zu kurz ist. Lässt sich ein Kabelzwischenstück geben, das er mit einem Messer, das unter dem Gurt steckt, abisoliert und mit den beiden Kabelenden verzwirnt. Dann klemmt ihm sein Assistent eine Nylontüte zwischen die Zehen des heruntergestreckten Fußes, den er akrobatisch hochhebt, die Tüte behändigt, sie zwischen und um die Drähte zwirnt, sein Feuerzeug herausholt und die Tüte auf die nackten Drähte vulkanisiert. Und fertig ist die Installation.

Oder reicht ein Schlauch nicht für die Bewässerung eines großen Grundstückes, so werden Versatzstücke auch unterschiedlicher Diameter zusammengesteckt und mit Streifen von Fahrradschläuchen befestigt. Wird dann Wasser nicht am Schlauchende, sondern nur auf halbem Weg gebraucht, so werden die Versatzstücke am richtigen Ort auseinandergezogen und schon ist das Wasser da, wo man es braucht.

Der Vietnamese kann überall und jederzeit herrlich schlafen: in der Hängematte unterm Baum, auf zwei Stühlen oder zu dritt quer im Bett. Der Cyclo-Fahrer schläft mit dem Oberkörper auf dem Fahrgastsitz, mit dem Hintern auf seinem Sattel und mit den Füssen auf der Lenkstange, der Taxifahrer sitzend im Taxi. Auch der Straßenrand bietet reichlich Schlafgelegenheit. Ohrenbetäubender Lärm in unmittelbarer Nachbarschaft stört ihn nicht.

Das Spielen um Geld ist zwar verboten, jedoch das zweitbeliebteste Hobby der Vietnamesen. Oft werden ganze Vermögen verspielt. Das drittbeliebteste ist für Frauen das Schauen traditionell vietnamesischer Soap-Operas und der Männer das Verfolgen der Fußballspiele der Premier League. Deshalb kennen sie Ballack besser als Maier.

Vietnam entwickelt sich schnell und das Wachstum zeigt sich am besten darin, dass vor 25 Jahren die meisten Menschen zu Fuß gingen, vor 20 Jahren mit dem chinesischen Fahrrad, vor zehn Jahren mit dem Motorroller und jetzt immer mehr mit dem Auto. Wer die nächste Stufe erreicht hat, kehrt nicht mehr zurück. Deshalb begreifen Vietnamesen nicht, wenn Kaukasier in Vietnam mit dem Fahrrad unterwegs sind und sie fragen: „Weshalb kommen Europäer hierher, wenn sie kein Geld haben, ein Motorrad zu kaufen?“ Aber kaufen Sie kein Fahrrad in Vietnam, es wird Sie nicht weit tragen!

(Jürg Kugler ist Autor des Reisebuchs Willkommen in Vietnam)

Vietnamesin © sarah_n-pixabay.com
Vietnamesin, gut behütet unterwegs © sarah_n-pixabay.com

Gewusst? Die konische Form der berühmten vietnamesischen Hüte schützt vor von Palmen fallenden Kokosnüssen: Fallen diese auf einen solchen Hut, können sie den Träger zwar trotzdem verletzen, aber ohne diesen Schutz könnte er sterben. Dongs, die Landeswährung, bestehen nicht aus Papier, sondern aus Kunststoff – dadurch lassen sich die Scheine nicht zerreißen oder verschmutzen. Vietnam mag zwar ein recht armes Land sein, aber es hat einen Alphabetisierungsgrad von 97,3 Prozent (Stand: 2016, 15- bis 50-Jährige). Außerdem hat es unter allen Entwicklungsländern eine der niedrigsten Arbeitslosenraten. Zwei von fünf Vietnamesen sind jünger als 15 Jahre. 40 Prozent der Vietnamesen heißen Nguyen mit Nachnamen – übersetzt bedeutet das „schöner Wohlstand“, historisch geht das zurück auf die Nguyen-Dynastie von 1802 bis 1945: In dieser Periode musste die gesamte Bevölkerung diesen Namen als Nachnamen annehmen. Die vietnamesische Sprache verfügt über sechs verschiedene Tonlagen – eine Veränderung ändert die Bedeutung des Wortes, daher ist Vietnamesisch keine einfach zu erlernende Sprache. Soweit bisher erforscht, gilt Vietnam als das einzige Land der Welt, in dessen Mythologie ein Küchenkönig vertreten ist: Er heißt Ong Tao. Und tatsächlich isst man in Vietnam Katzen und Hunde – übrigens kauft man sogar Straßenhunde von anderen asiatischen Ländern, wie Thailand, um diese zu verzehren. In Vietnam wohnen die dünnsten Menschen der Welt: Nur zwei Prozent der Vietnamesen sind fettleibig. Außerdem befindet sich in Vietnam die größte Höhle weltweit: Son Doong im Nationalpark Phong Nha Ke Bang ist mehr als 250 Meter hoch, 150 Meter breit und fünf Kilometer lang – ein einheimischer Bauer entdeckte diese zufällig, als er vor der Flut flüchtete; 15 Jahre verschwieg er allerdings seine Entdeckung, man munkelt, er hätte hier große Perlen abgebaut und es daher nicht eilig gehabt, seinen Fund mit anderen zu teilen. Zudem ist Vietnam der größte Exporteur von Cashewnüssen der Welt: mit einem Anteil von 25 Prozent – 2017 wurden beispielsweise 353.000 Tonnen davon exportiert. Nach Brasilien ist Vietnam, trotz vergleichsweise geringer Anbaufläche, der zweitgrößte Kaffeeproduzent weltweit. Und alle, die in Vietnam einen Hamster verkaufen oder besitzen, müssen mit einer Strafe von 1.900 US-Dollar rechnen – das ist das Doppelte des jährlichen Durchschnitteinkommens.

 

Typisch vietnamesisch! ist ein Auszug aus:

Länderklischees
Alle Iren haben rote Haare